Hallo werte Blogleserinnen und Leser! Lukas berichtet euch aus Lettland:
Uns wurde ein Festival empfohlen, eine Zusammenkunft verschiedener Eco-Communities in Mazirbe am Meer. Klingt nicht schlecht, dachten wir uns und haben kurzer Hand unseren Plan etwas umgestellt. Da wir sowieso mehr Rad fahren wollten, wir waren ja schießlich auf einer Radtour, kam uns dieser Umweg sehr gelegen.
Am Donnerstag Abend sind wir angekommen. Wir haben uns alle sehr gefreut, Stas von Radi Vidi Pats wieder zu treffen. Er hat mitgeholfen dieses Festival zu organisieren. Dann kamen 2 Männer an, von denen einer uns überschwänglich mit “Hello brothers and sisters!” und innigen ungefragten Umarmungen begrüßt hat. Danach hat er einen halbstündigen Monolog über sein Leben und die Geschichte Lettlands gehalten. Mir hat es recht schnell gereicht, auch an Bernsteinbrösel-Geschenken war ich nicht interessiert, und ich habe mein Zelt aufgebaut.
Wir haben beim Aufbau mitgeholfen. Eine Plane auf einen riesigen Dome zu spannen und zu kochen. Wir haben die Hippies mit unserem Essen aus dem Supermarkt-Müll versorgt. Das Festival fing mit einer Klangschalen- und Gong-Performance an. Mir persönlich war das zu seicht. Was ich vorallem schlimm fand war die Beleuchtung: diese LED-Strahler mit ständig wechselndem, fließendem Farbübergang. So dass alle paar Sekunden die Stimmung sich komplett verändert hat und ich mich auf nichts einlassen konnte. Irgendwann nachts, als wir ins Bett sind, liefen die Dinger immernoch und haben die Kuppel mit ihrem kitschigen Kunstlicht erleuchtet obwohl gar niemand mehr wach war. Wir haben uns erlaubt, dann einfach die Stecker zu ziehen.
Am Tag drauf hatten wir ein Treffen, um die nächsten Tage zu planen. Wir wollten es vor der Küchenhütte auf der Wiese machen. Als dann endlich alle da waren, kam eine vom Orga-Team des Festivals zum Kreis und fragte ob ein paar Männer helfen könnten Bänke aus der Hütte nach außen zu tragen. Wir meinten, dass es gerade schlecht ist, weil wir ein Treffen haben und warum sie unbedingt Männer brauche. “Weil wir schwere Sachen tragen müssen.” Ok, ein paar von uns sind aufgestanden um zu helfen. Mehrheitlich Frauen. Dann sagt Person doch tatsächlich: “No, we need the men!” Unsere Gruppe war offensichtlich schon recht empört und ich habe gefragt, weil ich es kaum glauben konnte wie renitent und ignorant mer (=fränkisch für man) sein kann, ob sie das Ernst meint. Daraufhin kam irgendetwas von wegen, das Frauen dafür da sind, Kinder zu gebähren und nicht, um schwere Sachen zu tragen.
Nachdem die ach so schwachen Frauen und ein Mann dann die Möbel rausgetragen hatten haben wir das Treffen auf unseren Zeltplatz verlagert und als neuen Haupt-Punkt stand “gender issues” zur Debatte. Wir waren uns einig, dass eine solche Situation sich auf keinen Fall wiederholen sollte und haben überlegt, was wir gegen den Sexismus auf dem Festival tun können. Wir haben beschlossen, mit dem Orga-Team zu sprechen und unsere Überzeugungen und Anschauen zu schildern. Wir wollten natürlich nicht geschlechterspezifisch nach irgendwelchen Aufgaben gefragt werden. Und wir wollten auch nicht andauernd mit “Hey guys” angesprochen werden. Mer hatte uns angeboten, dass wir auch einen Workshop geben könnten und wir haben beschlossen, bei diesem einen Fokus auf Geschlechterrollen, Sexismus und die Werte der Biketour zu legen. Dafür haben wir eine offene Werte-Tafel angelegt.
Der Workshop war meiner Meinung nach ganz gut. Wir hatten eine Diskussion über eben diese Werte. Was wenn manche Frauen eben auch diese für Männer “gedachten” Sachen machen wollen? Wenn mer dann aber in einer gemischten Gruppe nicht nach den Männern fragt, sei es unhöflich diesen gegenüber, hieß es dann. Und was wenn manche Männer nicht andauernd schwere Sachen rumtragen wollen? Hmm, darauf gab es glaube ich keine Antwort. Männer wollen sowas eben! Was dann noch interessant war, dass zu unserer offenen Wertetafel “Tradition” hinzugefügt wurde. Was wir ja gar nicht in unserem Werte-Katalog haben. Es ist ihnen wichtig die regionalen Sitten, Speisen, Lieder, Gewänder und Bräuche zu bewahren. Ein Argument war, dass die Menschen früher sehr viel mehr im Einklang mit der Natur gelebt haben, als sie es jetzt tun. In Lettland scheint diese Traditionsbewahrung eine Subkultur zu sein, im Gegensatz zu Deutschland beispielsweise; hier ist Tradition eher konservativen Leuten wichtig.
Wir waren auch öfters Pilze sammeln. Als wir dann voll beladen zurück kamen, haben wir Tips bekommen, dass man nur die jüngsten, kleinsten Pilze sammeln sollte, weil die am wenigsten wurmig sind. Wir hatten allerdings hauptsächlich größere gepflückt. Beim Schnippeln hat sich dann herrausgestellt, dass die aber auch kaum befallen waren, und die paar Wurmlöcher waren irrelevant unserer Meinung nach. Und auch noch andere Sachen haben sich herrausgestellt als wir meinten, dass mer auch nicht 100% ausschließen kann, einen Wurm mitzuessen. Die daurauf folgende Konversation mit dem Koch und seiner Frau war etwa so:
“Zum Glück sind wir hier ja nicht in China!”, meinte der Koch dann.
“Was, warum China?”
“Weil sie in China Hunde essen.”
“Wo ist das Problem, Hunde zu essen, wenn mer auch Schweine und Kühe isst?”
“Hunde sind nicht zum essen da.”
“Warum nicht? Hunde können bestimmt lecker sein.”
“Die Rolle des Hundes ist es zu bewachen, schon immer. Die Rolle anderer Tiere ist es gegessen zu werden. Und die Rolle eines Tigers, zum Beispiel, ist es zu jagen.”
“Aha. Und was ist dann die Rolle des menschlichen Tieres?”
“Ich weiß, worauf ihr hinauswollt, ich weiß wo ihr diese Diskussion hinlenken wollt, aber ich habe meine Überzeugung.”
Das vegane Essen, dass er für alle gekocht hat (auf unserem Rocketstove, ohne den wäre es sehr schwierig gewesen…) war wirklich köstlich. Und sein Hund ist auch sehr süß.
Die Rainbow-Hippies, die uns ganz am Anfang begrüßt hatten, haben wir immer wieder in einem fetten BMW rumkurven sehen. Vom Festival zum Strand, keine 500 Meter. Irgendwann kam auch eine Gruppe auf laut knatternden Motorrädern an, so auch unser Host aus Cita Abra (da waren wir 2 Wochen vorher). Und am letzten Tag gab es dann einen Verkaufsstand für Putzmittel und Haushaltsutensilien. So Plastikschrott und Chemie-Scheiße.
Für mich ist es viel schlimmer, vorzugeben, im Einklang mit der Natur und der Umwelt zu leben, es aber dann nur in einem kleinen Teilbereich des Alltags umzusetzen. Zum Beispiel haben die bestimmt alle einen schönen großen Garten. Aber dann gleichzeitig immer noch den ganzen anderen Rotz zu konsumieren, ist doch völlig verlogen.
Da sind mir die total einfachen Leute am Land lieber, die noch nie was von Permakultur gehört haben, aber wahrscheinlich wesentlich umweltfreundlicher leben als diese Pseudo-Hippies. Die Läden in den kleinen Dörfern verkaufen nie Gemüse oder so, das zieht sich jede_r selbst in ihrem Garten. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, die Scheiße kommt ins Plumsklo. Diese Orte haben mich teilweise fast an anarchistische Projekte erinnert, mit den selbstgebauten bunt bemalten Hütten, die Grundstücke voll mit Materialsammlungen und Müll-Kunst.
Wir hatten trotzdem Spaß!
am Strand:
als Stirnlampen-Band:
beim Tanzworkshop:
und bei einer komischen Performance, eine Jugend-Blasmusik-Kappelle maschierte zum Strand:
Thanks for this frank article! Sounds even worse than the worst experiences from the first half of the tour. But at least you get some overview about the values (or lack of them) of subcultures in different countries… It would be nice to read more about the poor villagers with colourful houses. :)
(Hallo! Würde gern etwas von Tartu-Tallinn posten. Kann aber beim besten Willen den “post-Tag” nicht ausmachen. Das ganze Menu fehlt auf dem Dashboard, obwohl eingeloggt.??) Weiss jemand gerade, woran das liegen kann? Danke!r.)